Anfang 2023 hat ein Technologiesprung im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) stattgefunden. Dieser wurde insbesondere durch die neuen Möglichkeiten der Generativen KI (engl. Generative AI oder kurz GenAI) getrieben, die es nun auch der breiten Masse ermöglicht, mit Tools wie ChatGPT künstliche Intelligenz für eine Vielzahl von Aufgaben einzusetzen. Auch Unternehmen haben die Technologie in ersten Anwendungsfällen u.a. für intelligente Chatbots zur Entlastung der Mitarbeiter:innen oder zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit genutzt. Jedoch werden die Potenziale von generativer KI aktuell weder ausgeschöpft, noch sind sie vollständig bekannt.
Im ersten Teil unserer Blogserie haben wir uns vor allem der Frage gewidmet, wie sich GenAI für das eigene Unternehmen einsetzen lässt. Dabei haben wir am Beispiel des eigens entwickelten Trendradars qbs.ai gezeigt, wie man erfolgreich von der ersten Idee zu einem funktionsfähigen MVP gelangt und worauf in der Umsetzung besonders zu achten ist.
Nun blicken wir aus strategischer Perspektive auf die Thematik: Unternehmen müssen sich nicht nur Gedanken über den grundsätzlichen Umgang mit KI machen, sondern auch die eigene Technologiestrategie auf den Prüfstand stellen.
Die Herausforderung besteht darin, die Nutzungsmöglichkeiten von KI zur Erreichung der unternehmensspezifischen Ziele und zur technologischen Unterstützung der unternehmerischen Aktivitäten zu erfassen. Die Definition einer KI-Strategie ist dabei die Grundlage, um die vielfältigen Fragestellungen zu erfassen, zu strukturieren und zu beantworten.
Abb. 1: Fragestellungen für den Einsatz von KI nach Unternehmensbereichen.
Unternehmen müssen den Einsatz Künstlicher Intelligenz aktiv steuern
Spätestens seit der Veröffentlichung von ChatGPT ist KI im Massenmarkt angekommen und die Anzahl an KI-Tools explodiert förmlich. Während ChatGPT und Googles Bard Chatbots sind, welche u.a. für Recherchezwecke oder die Unterstützung von Kreativtechniken genutzt werden können, können mithilfe von Tools wie Stable Diffusion Bilder anhand von Textbeschreibungen und/oder anderen Vorlagebildern erstellt werden. Staccato schreibt Songtexte und die zugehörige Musik dazu, Aspen generiert Websites anhand von Textbefehlen. Die Anwendungsfälle sind vielfältig und helfen den Anwendenden dabei, ihre eigenen Aufgaben zu beschleunigen. Auch branchenspezifische Lösungen treten vermehrt auf: So kann beispielsweise JADBio dafür genutzt werden, eigene und öffentlich verfügbare Gesundheitsforschungsdaten automatisiert auszuwerten.
Die Diskussion rund um die grundsätzliche Bereitschaft zur Nutzung von KI könnte dabei längst überholt sein: Die Technologie ist frei zugänglich, einfach zu bedienen und liefert sehr schnell sehr gute Resultate. Es ist davon auszugehen, dass allein deswegen bereits die Nutzung der Technologie kaum aufzuhalten sein wird. Firmen sind vielmehr gefordert, die Nutzung in konkrete und mehrwertstiftende Bahnen zu lenken, die bei der Erreichung der Unternehmensziele unterstützen. Konkret stehen drei Handlungsfelder im Fokus:
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Raum für Experimente schaffen: Individuellen Versuchen mit KI-Technologien einen unternehmerischen Rahmen geben.
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Eine zielführende KI-Kultur etablieren: Kurzfristige Klärung von prozessualen, strukturellen, technischen und sozialen Umgangsformen mit KI.
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Eine KI-Strategie definieren: Gesteuerte langfristige Entwicklung von Lösungen und Kompetenzen.
1. Raum für Experimente schaffen
Einige Mitarbeiter:innen nutzen bereits Tools wie ChatGPT in ihrem (Berufs-)Alltag. Unternehmen sollten daher ein sicheres Umfeld zur Nutzung ermöglichen. Hierfür müssen die Mitarbeiter:innen entsprechend Zugang zu den jeweiligen Tools erhalten. Diese sollten jedoch nicht willkürlich ausgewählt werden, sondern einem spezifischen Businessnutzen folgen.
Des Weiteren müssen Unternehmen Richtlinien definieren. Es gilt unter anderem zu definieren, welche Daten verarbeitet werden dürfen, wie mit den Ergebnissen umzugehen ist oder für welche Aufgaben die Tools ggf. nicht eingesetzt werden dürfen. Diese Richtlinien werden dann auch einen Einfluss darauf haben, welche Anwendungen oder Plattformen das Unternehmen einsetzen kann (z.B. Unterschiede zwischen Open AI und Azure Open AI hinsichtlich Hosting von Sprachmodellen).
Sind diese Parameter definiert, können die Mitarbeiter:innen selbst herausfinden, wie mit den Tools interagiert werden kann oder welche Möglichkeiten diese bieten, sie bei ihren Aufgaben zu unterstützen. Somit werden erste Hürden aus dem Weg geräumt und jede:r kann aus den eigenen Erfahrungen lernen. Dies führt zum nächsten, entscheidenden Punkt, der durch die Unternehmen adressiert werden sollte: die Kulturarbeit.
2. KI-Kultur etablieren
Aktuelle Umfragen zeigen, dass ein breites Spektrum an Meinungen hinsichtlich Künstlicher Intelligenz besteht.1 Über die Hälfte der Menschen in Deutschland sind mindestens skeptisch gegenüber der Nutzung künstlicher Intelligenz eingestellt, gar 74% fordern schärfere Gesetze für die Entwicklungen im KI-Kontext. Auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl an Menschen, die das große Potential der Technologie sehen und diese möglichst schnell in ihren (Arbeits-)Alltag integrieren möchten.
Diese unterschiedlichen Meinungen werden auch innerhalb von Unternehmen vertreten sein, weswegen hier aktiv eine KI-Kultur etabliert werden muss. Unternehmen müssen ihre individuelle Antwort auf den Umgang mit KI-Technologie finden. Dabei ist es ratsam, eine aufgeschlossene, aber bedachte Nutzung künstlicher Intelligenz zu fördern. Die Mitarbeiter:innen sollen ein Verständnis dafür erlangen, wie die jeweiligen Tools und die zugrunde liegenden Technologien funktionieren und wie diese ihre Arbeit unterstützen können. So können informierte Diskussionen geführt und individuelle Fragestellungen gemeinschaftlich beantwortet werden. Doch während die Schaffung einer KI-Kultur im Unternehmen wichtig ist, um Verständnis, Akzeptanz und Offenheit für KI und seine Möglichkeiten zu schaffen, müssen Unternehmen auch übergreifend definieren, wie sie KI einsetzen möchten. Dabei geht es insbesondere darum herauszustellen, welche Ziele mit Hilfe künstlicher Intelligenz erreicht werden sollen. Um dies zu tun und die dafür notwendigen Strukturen zu etablieren, ist es für Unternehmen unabdingbar, eine KI-Strategie zu definieren.
3. Definition einer KI-Strategie
Die KI-Strategie definiert letztlich den langfristigen Plan, den das Unternehmen mit der Anwendung von KI-Technologien verfolgen möchte, welche Ziele es dabei zu erreichen gedenkt und wie es die notwendigen Fähigkeiten und Strukturen schaffen möchte. Hierbei gilt es unter anderem rechtliche, technologische, aber auch organisatorische Aspekte zu berücksichtigen. Dies macht die Einführung künstlicher Intelligenz zu einer komplexen Aufgabe.
Um diese vielfältigen Fragestellungen zu beantworten und den langfristigen Erfolg dieser Technologie im Unternehmen zu fördern, ist es für Unternehmen unabdingbar, eine KI-Strategie zu entwickeln. Diese sollte sich an der Business-Strategie orientieren und idealerweise die dort definierten Ziele unterstützen. Mit der Ambition wird definiert, welche Ziele mittels KI-Technologien erreicht werden sollen und welche Vision das Unternehmen hiermit verfolgt.
Abb. 2: Faktoren bei der Erstellung einer KI-Strategie
Hieraus werden spezifische Use Cases abgeleitet, die auf die gesteckten Ziele einzahlen sollen. Neben branchenübergreifenden Anwendungsfällen wie Chat Bots werden auch branchen- oder unternehmensspezifische Use Cases definiert, wie etwa die Auswertung von Röntgen- oder MRT-Bildern in der Radiologie.
In der nächsten Phase werden mit dem KI-Operating Modell die notwendigen Grundlagen im Unternehmen definiert, um KI und die abgeleiteten Use Cases nachhaltig im Unternehmen implementieren zu können. Neben der Governance werden u.a. auch die organisatorischen Strukturen definiert, Technologien ausgewählt und ein Konzept zum Management der relevanten Daten erstellt. Hierbei wird, abhängig von den unternehmensspezifischen Zielen und Use Cases u.a. analysiert, welche Rollen und Fähigkeiten benötigt werden, auf welche Technologien sich das Unternehmen fokussieren möchte oder wie die Daten bezogen und verarbeitet werden.
Herzstück dieser Aktivitäten sind jedoch Business Capabilities, welche als strukturgebendes Element eingesetzt werden. Mit ihnen wird u.a. definiert, welche Capabilities das Unternehmen selbst aufbauen möchte und welche extern bezogen werden sollen. Doch auch darüber hinaus stellen Business Capabilities eine wichtige Rolle zur Strukturierung der KI-Aktivitäten dar.
Business Capabilities als Herzstück der KI-Strategie
Bereits die Formulierung der KI-Ambition hat einen Einfluss darauf, welche Business Capabilities von der KI-Strategie betroffen sein werden. Mit den hier definierten Zielen kann schon eingegrenzt werden, auf welche Business Capabilities der Fokus bei der Entwicklung der Use Cases liegen wird. Soll mit Hilfe künstlicher Intelligenz beispielsweise das Ziel der Kostenführerschaft erreicht werden, wird der Fokus der Use Cases vermutlich auf den Commodity Capabilities liegen, um bei diesen die Effizienz zu maximieren und entsprechend die Kosten reduzieren zu können. Liegt der Fokus dagegen darauf, die Qualität der Produkte oder Services zu steigern, wird der Fokus der Use Cases eher auf den differenzierenden Capabilities des Unternehmens liegen, um die bestehenden Wettbewerbsvorteile weiter auszubauen und die Qualität der Produkte oder Services zu steigern.
Um also entsprechende Use Cases identifizieren zu können, sollten Unternehmen über eine Business Capability Map verfügen, die den aktuellen Stand des Unternehmens widerspiegelt. So können die identifizierten Use Cases auch direkt im Unternehmen verortet und die relevanten Experten im Unternehmen hinzugezogen werden.
Abb. 3: Business Capabilities je Fachbereich
Neben der Zuordnung der Use Cases zu den jeweiligen Business Capabilities, gibt es aber weitere Dimensionen, die im Rahmen der Definition der KI-Strategie berücksichtigt werden müssen. Um künstliche Intelligenz im Unternehmen implementieren zu können, müssen Unternehmen identifizieren, welche KI-Business Capabilities hierfür benötigt werden und welche davon im eigenen Unternehmen aufgebaut bzw. ausgelagert werden sollen.
Dies hat weitreichende Folgen, u.a. für den Aufbau der personellen wie technischen Ressourcen im eigenen Unternehmen. Dabei ist es entscheidend, dass Unternehmen definieren, welchen Reifegrad sie im Kontext von KI aufbauen möchten. Es muss nicht zwangsläufig die beste Option sein, sofort umfangreiche Strukturen und Ressourcen im Unternehmen aufzubauen, wenn noch nicht klar ist, wie der zukünftige Einsatz von KI aussehen wird. Daher sollten Unternehmen differenziert betrachten, welche möglichen Ausbaustufen es gibt und welche Capabilities zunächst zwingend aufgebaut werden müssen, um künstliche Intelligenz implementieren zu können. Erweist sich der Einsatz von KI als vorteilhaft, können anschließend weitergehende Strukturen und Ressourcen aufgebaut werden. Somit entsteht eine klare Roadmap für das Unternehmen, nach welcher Priorität die jeweiligen Capabilities aufgebaut werden sollen.
Fazit
Für die strategische Planung des Einsatzes von KI-Technologien ist die Capability-basierte Planung ein vielversprechender Ansatz. Durch eine Konsolidierung aktueller unternehmerischer Tätigkeiten, Prozesse, Fähigkeiten und Strukturen in ein einheitliches Planungsmodell entsteht ein effektives und effizientes Modell des Unternehmens, das zur Ableitung von Strategien, Entwicklung und Priorisierung von Use Cases, Technologieentscheidungen und sogar zur strukturellen Planung genutzt werden kann. Daher sollten Unternehmen sich im Zuge der Entwicklung ihrer KI-Strategie intensiv mit ihren eigenen Business Capabilities auseinandersetzen und analysieren, welche KI-Capabilities sie kurz- aber auch langfristig aufbauen möchten. Ein Startpunkt für die Diskussion ist diesem Beitrag zu entnehmen.
Im dritten Teil der Serie legen wir den Fokus auf die pragmatischen ersten Schritte zum Aufbau von KI Kompetenzen aus eigener Erfahrung.
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Quellen:
[1] https://www.continental.com/de/presse/studien-publikationen/umfrage-kuenstliche-intelligenz/